06
August
klettern auf den turm (I)
den größeren teil meines bisherigen lebens verbrachte ich im vereinigten deutschen vaterland. ich war wohl ein typisches ddr-kind. beileibe bin ich keine expertin für ddr-kindheiten, höchstens noch für meine eigene. zeitpunkttechnisch war der untergang perfekt: mit abgeschlossener ausbildung samt reifezeugnis in die freiheit entlassen. altlastenfrei, mit wenigen spätfolgen.

spätfolgen? einen hang zur renitenz nebst misstrauen gegenüber öffentlich-rechtlichen und offiziellen verlautbarungen. wobei letzteres weder generell noch aus dem hang zur renitenz im allgemeinen gepflegt wird. es ist eher so, dass es leider immer wieder neu genährt wird. nur als beispiel: die tatsache, dass ein großunternehmen (übrigens gehört hysterie nicht zu einer meiner spätfolgen real-existiender kindheit, sonst würde jetzt "ein???" hier stehen) gegen datenschutzgesetze verstößt ist traurig und könnte eigens grund zum misstrauen sein. der umgang des unternehmes mit jener traurigen tatsache, der erst schafft die sichere gewissheit, dass was nicht stimmt, das eben gar nichts stimmt, gewissermassen. das böse unternehmen nämlich informiert seine mitarbeiter, darüber, dass datenschutzverletzungen böse sind, nicht tragbar scheinen und konsequenzen gezogen wurden. welch eine ankündigung(!), wenn dieses gleich dreimal den (jetzt doch!) besorgten mitarbeiter erreicht: elektronisch, per aushang und mittels einem persönlichen brief. die wahrscheinlichkeit des unwahrheitsgehalts steigt mit der anzahl real existierender wiederholungen.

jedenfalls bin ich angekommen, gut angekommen. unbedarft darf ich lächeln über die (aller himmelsrichtungen angehörigen), die glauben, recht und unrecht in west und ost einteilen zu können oder es müssen.

leider habe ich jedoch das eine oder andere zeitgeschichtliche dokument verloren beim ankommen und umziehen. so sammle ich mittlerweile nach und nach das eine oder andere, alte kinderbücher … jüngst erst erwarb ich zwei alte lehrpläne der 9./10. klasse für den deutschunterricht. es ist weniger (n)ostalgie, als vielmehr die faszination für den leicht schaurigen grusel, der mich überkommt, wenn ich darin schmökere. als kind las ich schließlich die bücher, nicht den lehrplan dazu. das ist nicht nur gruselig, das ist schön gruselig, dass ich aus dem (was schon) kopfschütteln nicht mehr rauskomme. und das beste ist noch immer, es ist doch überstanden.

so ging es mir dann auch mit dem turm, den ich allein dieses textes wegen gelesen hätte:
»Wenn in Zukunft einer wissen will, wie es denn wirklich gewesen ist in der späten DDR, sollte man ihm rasch und entschlossen den neuen Roman von Uwe Tellkamp in die Hand drücken: »Nimm und lies«. Knapp tausend Seiten umfasst Der Turm, die Geschichte aus einem versunkenen Land. Hier lernt man die späten Jahre des Sozialismus in einer Intensität kennen, für die es in der Literatur nach 1989 kein Beispiel gibt. So wie wir heute die Welt des Bürgers mit den Augen Thomas Manns sehen, werden spätere Generationen in Tellkamps Roman Erstarrung und Implosion der DDR nacherleben können.« Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung
ob hochbejubelt oder nicht. ich war manchmal froh, im hier und jetzt zu sein, wenn ich das buch zuklappte. empfand (wieder) das bedrückende. andererseits, die passage mit den tauschgeschäften: herrlich. berauschend: die süße krankheit gestern und die vorkriegsware. bekanntes: der rückzug, in die kunst, ins private - eine teilung zwischen öffentlich und privat. und irgendwie habe ich das land, in dem ich aufgewachsen bin, noch mal und wieder kennengelernt. ich glaube, es ist ein großer roman. mehrmals trennte ich den handlungsstrang vom epischen kein-substantiv-ohne-adjektiv, aber nur um dann zu geniessen. implosion trifft es wohl am ehesten, wenn sich alle phrasen selbst eliminieren, dass ein spuk sich in nichts auflöst. fast, jedenfalls.

in jedem fall ist es ausgestanden. anderes nicht.

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update: 2024.04.26, 20:47
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