"übers system jammert man gern" las ich letztens im faz-feuilleton. es ist nicht deshalb zum heulen; position, gegenposition, das gehörte alles zu einem guten feuilleton. einen artikel, der mich überhaupt nicht überzeugt, kann ich brilliant finden oder wenigstens nachdenkenswert. ja, das wäre es: nachdenkenswert, das meinte man, strebten die geistesgrößen an.
kapitalismuskritiker werden bei der dame (hedwig richter), die diesen artikel verfaßt hat, mit gesellschaftskritikern ziemlich lässig in einen topf geworfen: eine feministin aus der perspektive einer wohlstandsfrau, colin crouch, und zum beispiel wolfgang streeck und wer weiß noch wer, am ende gar pegida. das muß man nicht nur nicht verstehen, es ist nicht zu verstehen. wenn man sich nämlich dazu versteigt, daß die kritiker die demokratie gleichsam verachten. und den kapitalismus. was jetzt irgendeine feministin und pegida-gaga angehen: was weiß ich, ich kann mir ja nicht jeden quatsch anhören oder lesen.
was mich wirklich gewundert hat, ist wolfgang streeck (ich habe seine debatte mit habermas in den blättern mit großem interesse verfolgt. und mir hat die anhänglichkeit an den "nationalstaat" weniger behagt, aber weniger als die bürokratie in brüssel? auch die troika steht dafür mit ein. es gibt wohl kein gebot der debatte, aber wenigstens kein nachdenk-verbot) als einen verächter von demokratie oder kapitalismus hinzustellen. auch wenn er wohl die "soziale marktwirtschaft" präferiert. da fragt sich, ob die dame streecks essay gelesen hat. vielleicht liest sie aber keine essays von gelehrten, denen sie ein disiktinktionsgefühl und einsames herrschaftswissen vom nahen ende unterstellt; wie sie aus der sogenannten kapitalismuskritik eine antiliberale kritik macht, bleibt ihr geheimnis. oder?
"liebe postdemokraten, kämpferinnen und kämpfer von occupy und blockupy: könntet ihr euch mal mit den informationen von amnesty international auseinandersetzen, bevor ihr eure klagelieder anstimmt?" schreibselte sie weiter. das hat mich daran erinnert, wie im real existierendem sozialismus kritik behandelt wurde. freilich hat man sich dabei nicht auf amnesty international berufen (können), aber ähnlich argumentiert: daß es nämlich woanders, fast überall, noch viel schlimmer zugehe. manchmal wurde das auch auf die frage reduziert, ob man lieber frieden oder bananen hätte. die art von argumenten haben nichts gebracht, wie man weiß.
wäre sie eine ökonomin, hätte ihr das (heute in der süddeutschen) bestimmt gefallen.
ja, die fed, so der tenor, verharmlost die "neue normalität "nicht. sie hat nur eben nicht weniger vor als den junkies die drogen wegzunehmen. ganz sanft und zögerlich, aber wegnehmen bleibt wegnehmen. "ein erster lichtschein am endes des tunnels ist erkennbar" alles wird gut werden, irgendwann und irgendwie, jedenfalls am ende des tunnels. lustig noch wie: "die anleger sollen sich wieder an den gegebenheiten der wirtschaft orientieren, nicht an den überlegungen der zentralbank" die pure vernunft wird siegen!
na ja, die dame ist keine ökonomin. was hat sie auf lager? "gewiss, westliche länder haben probleme: manche gehälter sind grotesk, frauen werden weiterhin benachteiligt, wir brauchen mehr raum und ideen für flüchtlinge, mehr elan für eine bessere umwelt, wir müssen mehr phantasie entwickeln und wahrscheinlich weniger militäreinsätze planen, um anderen ländern wirklich beizustehen. und es stellt sich die frage, wie viel ungleichheit unsere demokratie erträgt, selbst wenn es den ärmsten hier relativ (meine bescheidene anmerkung: weil es ja fast überall noch schlimmer zugeht) gutgeht. es spricht jedoch alles dafür, dass unsere gesellschaft für diese und kommende probleme lösungen finden wird."
vielleicht, vielleicht siegt die pure vernunft wirklich. nur, das glauben nicht mal die gläubigen anhänger und die gläubiger der sogenannten marktwirtschaft nach einer inhaltlichen auseinandersetzung. andererseits ist optimismus eben "nur" ein mangel an informationen.
ich soll eine belohnung bekommen, weil ich letztes jahr nicht einen tag wegen krankheit gefehlt habe. ich glaube, ich muß das so ausdrücken, weil ich nicht behaupten könnte, mich nicht einen einzigen tag krank gefühlt hätte. das übel kommt selbstverfreilich meistens übers wochenende und dann fängt die arbeitswoche eben irgendwie wieder an, so ist das manchmal.
ich muß ihnen (und denen) (leider) sagen, daß ich die belohnung nicht will, also nicht haben möchte. es widerspricht meinen ethischen grundsätzen.
ich weiß, daß die belohnung eine geste ist, ein zur kenntnis nehmen. und als personalnummer überhaupt zur kenntnis genommen zu werden, na ja. zigtausende sogenannte arbeitnehmer erhalten weder eine geste noch den mindestlohn, noch sonst was.
aber ich halte solche arten von anreizsystemen für grundsätzlich falsch. ich bin einfach nur froh darüber, daß das letzte jahr gesundheitstechnisch- und rechnerisch so gut gelaufen ist und hatte zum beispiel (heuer) in dieser phase keine lust, mich in ein völlig überfülltes wartezimmer zu setzen. wie es mir ging, wußte ich ja selber.
ich bin glücklich, wenn ich mich gut fühle. ich will mich nicht besser fühlen wollen in einem anreizsystem, welches ich für krank halte. und auch dafür kann ich gar nichts.
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aus den offline-storys: klingt komisch oder nicht:
den manager, der sein gehalt kürzt, weil die qualität "seines produktes" nicht mehr stimmt, würde ich gern mal kennenleren. das (logische) thema: anreizsystem und menschenbild.
zum beispiel hätte man eine veritable staatskrise haben können, aber das will man ja nicht, zu recht!1! da fällt der vermutliche verrat von dienstgeheimnissen eben zu gunsten der regierungsbildung aus. das wäre einfach zu blöd, wenn das (mutmaßlich einzige) mittel zur verhinderung organisierter kriminalität dann ausgerechnet die vorratsdatenspeicherung wäre? beziehungsweise ...
sein soll? na toll!
aber besser: man hat.
man hat nämlich das "ausland": darf man das (so nennen)? das in jeder art und weise diskreditierte griechenland. davon mehr würde dem euro schaden, mehr weniger davon ist dem michel-deutschen einfach lieber so. jetzt hat er auch noch weniger rente. oder und aber, was der durchschnitt ist, ist egal: er (michel) glaubt noch: er rechnet wie wild der durchgeschnittenen wurst hinterher. nur, daran wird er scheitern. oder sich verrechnen. na, was auch immer.
pure vernunft darf niemals siegen und eine "reine" gewalt gibt es nicht.
8000 Polizeibeamte treffen sich in Frankfurt mit rund 10.000 Demonstranten zu dieser beinahe theatralischen Inszenierung zweier hervorragend organisierter Ensembles.
für die zahlen übernimmt man wie immer keine gewähr, es können auch 17.000 oder 20.000 demonstranten gewesen sein. die auflösung nun, warum es so eine "theatralische Inszenierung" gibt (oder braucht), steht am schluß: "Der Diskurs über politische Strategien und gesellschaftliche Entwicklungen gehört dennoch zum Wesen der Demokratie. Aber die rationale Debatte, nicht die Inszenierung martialischer, am Ende uneindeutiger Bilder, ist der wahre Kraftakt für den Staat und seine Gegner."
einerseits ist der protest mittlerweile international, hieße es dann nicht besser: die staaten und ihre gegner. oder hieße es besser: die staatsmächte und ihre gegner?
und andererseits wird ein diskurs über politische strategien und gesellschaftliche entwicklungen doch gar nicht geführt. ja, das stellt dummerweise das wahre wesen der demokratie in frage: am verhandlungstisch sitzen die sogenannten märkte und die politischen verwalter, die die märkte ständig zu beruhigen versuchen. gleichzeitig müssen sie noch irgendwie das sogenannte volk bei laune halten. das ist nur für die ganz dummdreisten nicht nur rational sondern normal. für die anderen gibt es, weil alternativlos, auch keine rationale debatte zu führen. für die (und ihre gegner) bleiben uneindeutige bilder, die sie jetzt ausschlachten müssen, deutungshoheitlich. dabei bleibt es bei der inszenierung, der "wahre" kraftakt ist nicht nur der falsche, er bleibt aus.
wer hätte das gedacht, der oppermann hat mehr als einmal nur geschwiegen, also am telefon. das hätte er in diesem fall auch gerne tun können, aber er kann nicht anders: er muß eben warnen. mal den einen, mal die anderen. was kann er denn dafür? das wird von ihm erwartet.
ja, manchmal scheint das seltsam, der größtmögliche schaden wird angerichtet, um den größtmöglichen schaden zu verhindern. weil das das kalkül einer scheinwelt ist. scheinbar ein alternativloses.
gott, ist das lange her, dachte ich neulich, und es ist wirklich lange her, daß ich the cure im radio gehört habe. und mit gott spräche ich eigentlich über musik nicht. und sowieso nicht.
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im mai 89 saß ich in der kaderabteilung und druckste mich um eine kandidatur zum eintritt in die sed herum. ich ging raus wie im traum: keine nachfragen, kein "wir garantieren ihnen für nach dem studium gar nichts!", einfach nichts.
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wie könnte man diesen unvergleichlichen sommer 89/90 vergessen?
# "wieso waren wir eigentlich noch da?"
das ist vielleicht das ding mit der späten geburt: zu jung zu gehen, und mittendrin. ob es eine gnade ist, entscheidet sich später erst.
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schön, sehr sehr schön: "wir waren in den frühen siebzigern geboren, und wenn ich mal den bücherschrank meiner eltern konsultierte, dann war die produktion von zukunftszuversicht und optimusmus irgendwie eingestellt worden, als wir in den kindergarten kamen, seitdem wurde durchweg nur noch gehadert und sinniert und gefroren und griechisches drama inszeniert."
the revolution will not be televised.
oder.
um es mit hagen rether zu sagen:
"Wir haben doch die Wahl. Kannste Sarrazin lesen oder Navid Kermani.
Wir haben immer die Wahl zwischen beidem."